15.08.2021

Interview mit …

Sabine Knör

Sabine Knör leitet das Team „AI & Data Science“ bei ENERGY4U, einem IT-Dienstleister mit insgesamt 140 Mitarbeiter:innen, der sich auf die Energieversorgungsbranche spezialisiert hat. Ihr Team bietet Kunden maßgeschneiderte Lösungen mit Machine Learning (ML) an, zum Beispiel in den Bereichen Prozessoptimierung und Kommunikation. Wir haben sie gefragt, welche Rolle die Mitarbeiter:innen bei der Einführung von KI in Unternehmen spielen – und wie sie die Zukunft sieht.

Können Sie an einem einfachen Beispiel beschreiben, was Sie und Ihr Team anbieten?

Sabine Knör: Das beste Beispiel ist ein Prozess namens Zählerstandvalidierung. Wir alle schicken einmal im Jahr unseren Zählerstand an unseren Energieversorger. Diese Rückmeldung wird in der Regel maschinell verarbeitet. Wenn bei der Ablesung aber ein Fehler unterlaufen ist, sich zum Beispiel jemand verlesen oder das Komma vergessen hat, dann stuft das SAP-System den Zählerstand als Klärfall ein und Sachbearbeiter:innen müssen diesen manuell prüfen. Und das sind nicht nur ein paar Fälle, sondern (je nach Unternehmensgröße) Tausende pro Monat,  zehn- bis hunderttausend pro Jahr. Für die Mitarbeitenden ist das eine Aufgabe, die nicht besonders spannend ist, zumal 70 bis 80 Prozent dieser ausgesteuerten Zählerstände anschließend freigegeben werden. Hier schalten wir ein ML-Modell zwischen, das die Fälle prüft und bei ausreichender Sicherheit Zählerstände automatisiert freigeben kann. So können sich die Bearbeitenden auf die komplexeren Fälle konzentrieren, anstatt sich durch die einfachen „durchzuklicken“ .

 

Wie nehmen die Sachbearbeitenden es auf, wenn KI in ihrem Unternehmen eingeführt wird?

Was wir sehr schnell festgestellt haben: Es ist enorm wichtig, alle Mitarbeiter:innen von Beginn an einzubeziehen. Ich muss immer ein bisschen lachen, wenn ich das sage. Denn diese Erkenntnis ist so einfach wie alt und es wird leider trotzdem relativ selten proaktiv gemacht. Werden die Kolleg:innen, die tatsächlich an den Aufgaben arbeiten, nicht einbezogen, leidet die Qualität und Projekte dauern in der Regel länger. Wir als Dienstleister bekommen dann nicht alle Infos, die wir brauchen, um diesen Prozess zu designen, deshalb funktioniert es nicht so gut wie möglich, im Extremfall stirbt das Projekt vielleicht sogar. Wenn ich die Leute aber einbeziehe und mit ihnen zusammen die ML-Projekte aussuchen kann, ML da einsetzen kann, wo die Mitarbeitenden wirklich ein Problem haben, dann klappt es immer gut. Bei den Projekten, die wir am erfolgreichsten umgesetzt haben, war es so, dass die Kolleg:innen sagten: Wir schaffen das hier nicht mehr, wir haben es teilweise schon an Dienstleister ausgelagert. Wir kriegen es zum Beispiel zum Jahreswechsel, wenn alle Leute ihre Zählerstände ablesen, nicht mehr hin, bitte helft uns. Und das ist natürlich die beste Ausgangsbasis für ein Projekt, so entsteht eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.

 

Wie motivieren Sie die Menschen mitzumachen?

Wir, als Dienstleister Energy4U, starten meistens mit einem sogenannten JumpStart in die Projekte – einem in der Regel fünftägigen Workshop, in dem wir die Beteiligten schulen und einen Prototyp für eine definierte Aufgabenstellung erstellen. Es gibt viele Vorurteile gegen KI. Die einen sagen, es kann gar nichts, die anderen sagen, im nächsten Jahr übernimmt uns ein Roboter. Es geistern ganz, ganz viele unterschiedliche Wissensstände und Ängste durch den Raum. Und deswegen erklären wir immer, was ML ist: Wie könnt ihr das einordnen? Was machen wir konkret bei euch? Außerdem sind die Leute beim Prozess dabei und bekommen mit, wie so ein ML-Modell trainiert wird. Innerhalb einer Woche gehen wir den kompletten Lebenszyklus des ML-Modells mit den Sachbearbeiter:innen durch und zeigen, wie es entsteht. Dadurch ist es für sie kein Hexenwerk mehr. Sie wissen, wie es funktioniert, sie vertrauen der Technologie, die sie nutzen, und können auch Potenziale in anderen Bereichen besser einschätzen.

 

Wie reagieren Mitarbeiter:innen auf den Workshop? Sind die begeistert oder sagen die, jetzt muss ich in eine Schulung, in der ich sowieso nichts verstehe?

Das kommt unter anderem auf die Kommunikation im Vorfeld an. Wenn die Leute „gezwungen“ werden, ohne ihnen die Vorteile zu kommunizieren, sind sie verständlicherweise nicht sehr motiviert, diesen Workshop ins Tagesgeschäft zu integrieren. Aber wenn das im Vorfeld gut vorbereitet wurde, etwa gesagt wurde, wir möchten das Projekt zusammen mit dir umsetzen, du kannst uns dabei helfen und mitgestalten, dann ist es von Anfang an eine angenehme Atmosphäre und die Sachbearbeiter:innen nehmen auch technisch bzw. inhaltlich sehr viel mit. Wir versuchen natürlich nicht in den Code abzutauchen, aber wir erklären zumindest die Rahmenbedingungen, und mit den IT-Mitarbeiter:innen und Interessierten gehen wir auch technologisch eine Stufe weiter. Wir gestalten die Inhalte also sehr angepasst an die jeweilige Zielgruppe.

 

Und Sie lernen umgekehrt so auch von den Leuten in den Betrieben?

Das ist absolut bidirektional. Es lernt jeder von jedem. Natürlich kennen wir zum Beispiel den Prozess der Zählerstandvalidierung, den haben wir jetzt schon sehr, sehr oft durchgespielt. Aber jedes Unternehmen ist ein bisschen anders, darauf wollen wir eingehen und nehmen von den Diskussionen viel mit.

 

Welche Rolle spielen bei solchen Implementierungen die Betriebsräte?

Ich bin selbst Betriebsrätin, deswegen ist mir generell sehr wichtig, alle Stakeholder mit einzubeziehen. Das heißt: die Leute, die die Lösung im Prozess betrifft, die Leute, die sie in der IT warten müssen, und genauso die Betriebsräte. Mit allen sollte man von Anfang an offen und ehrlich sprechen. Zum Beispiel darüber, ob ein neuer Prozess relevant für die Mitbestimmung ist. Und da sind die Betriebsräte ja die Profis. Bei unserem Beispiel Zählerstandvalidierung hatten wir bis jetzt noch nie den Bedarf einer Betriebsvereinbarung in den Unternehmen. Aber es ist wichtig, proaktiv zu kommunizieren. Wenn es der Betriebsrat im Nachhinein mitbekommt, ist die Verhandlungs- und auch die Vertrauensbasis schlechter.

 

Was sagen Sie zu Leuten, die Angst vor KI haben, die fürchten, dass ihre Arbeitsplätze wegfallen, dass sie die Kontrolle über die Maschinen verlieren…

Ich kann das sehr gut verstehen, denn ich war auch eine von diesen Menschen. Ich habe Betriebswirtschaftslehre studiert und keinen IT-Background. Und deswegen war ich auch immer relativ ängstlich, was diese neue Technologie betrifft. Man sieht Science-Fiction-Filme, nimmt zwar nicht alles für bare Münze, was man da sieht, aber wird doch negativ davon beeinflusst. Aus meiner Sicht ist Aufklärung sehr wichtig. Wenn man weiß, wie so ein ML-Modell funktioniert, erkennt man, da ist keine schwarze Macht unterwegs, das ist nur Mathematik. Ich glaube, den meisten Menschen ist es gar nicht bewusst, wie oft am Tag sie KI-Systeme nutzen, etwa bei Navigationsgeräten oder bei Sprachassistenten.

 

Werden in der Zukunft viele Menschen durch KI ersetzt und arbeitslos?

Nun, das wird, glaube ich, eine Revolution, wie wir sie als Menschheit schon öfter erlebt haben. Da gibt es dieses schöne Beispiel: In der industriellen Revolution ist der Beruf des Kutschers weggefallen. Das war für die Betroffenen natürlich ein schwerer Schlag. Wer die Möglichkeit aber erkannt und versucht hat, einen Job als Chauffeur zu bekommen, hatte erneut einen Arbeitsplatz, unter Umständen sogar zu angenehmeren Bedingungen als zuvor. Man darf aus meiner Sicht nicht stehen bleiben, so unangenehm und anstrengend das manchmal auch sein kann. Außerdem glaube ich auch, dass es viele Bereiche gibt, in denen KI sich in naher Zukunft als nicht geeignet erweist, etwa weil die Situation menschlicher Empathie bedarf. Da denke ich zum Beispiel an schlecht funktionierende Bots bei manchen Hotlines. Ich habe privat erst kürzlich diese Erfahrung gemacht und lieber auf den Vertrag verzichtet, als weiter mit einem schlecht funktionierenden Roboter zu telefonieren. Wir haben selbst einen Proof of Concept dazu gemacht und festgestellt, dass eine Verlagerung allgemeiner Kommunikation technisch derzeit noch sehr schwierig ist. Die Bots verstehen nur, wenn ich sehr langsam und hochdeutsch spreche. Aber mit Dialekt oder womöglich verärgert, schnell sprechend oder schreiend: keine Chance. Das ist ein Beispiel, bei dem sich zeigt, dass KI empathischen Callcenter-Mitarbeitenden unterlegen ist. Bei einem Menschen können die Kunden erleben: Das war jetzt eine richtig gute Erfahrung, bei dem Anbieter bleibe ich und buche außerdem das Zusatzpaket. Einfach, weil das Gespräch, ohne große Umwege, wirklich ein toller Service war. Zusammengefasst gibt es also aus meiner Sicht verschiedene Möglichkeiten, was die Arbeit in der Zukunft betrifft: die Weiterentwicklung in neue Berufsfelder, wie zum Beispiel Data Science, oder die Fokussierung auf Bereiche, in denen die menschliche Interaktion im Mittelpunkt steht.

 

Ein Interview von Eva Meschede

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