24.07.2022

Interview mit …

Florian Haggenmiller

Florian Haggenmiller ist Leiter der Bundesfachgruppe Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) bei ver.di. Er setzt sich für betriebliche Mitbestimmung ein, damit die Digitalisierung dem Menschen und der Gesellschaft dient und nicht den Profitinteressen weniger.

 

Lothar Schröder

Die Einführung von Künstlicher Intelligenz ist mitbestimmungspflichtig, welche Erfahrungen haben Sie damit in den Unternehmen gemacht?

Florian Haggenmiller: Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass das fertige Produkt bzw. die fertige Software vor Einführung im Betriebsrat vorgelegt wird. Das ist manchmal etwas spät, weil sich der Betriebsrat dann erst nach der Entwicklung der KI in die Materie einarbeiten kann. Wir haben festgestellt, wenn von Anfang an Betriebsrat und Arbeitgeber eingebunden sind, funktioniert es viel besser. Denn wenn alle vom Beginn der Entwicklung an informiert werden, führt diese Transparenz zu wesentlich mehr Vertrauen. Das passiert schon oft in vielen Unternehmen, vor allem dann, wenn es großes Interesse an einem schnellen Einsatz eines neuen KI-Tools gibt. Eine schnelle Entwicklung erfordert eben auch eine schnelle Mitbestimmung. Schließlich ist überall – das haben unsere Projekte gezeigt –, wo Beschäftigte und Betriebsrät:innen mit eingebunden wurden und möglichst auch bei der Programmierung Einfluss nehmen, die Akzeptanz und die Bereitschaft zur Anwendung viel größer. Gut ist, dass sich Betriebsrät:innen seit vergangenem Jahr auf einen Passus im neuen Betriebsrätemodernisierungsgesetz beziehen können, der festlegt, dass die Hinzuziehung von Sachverstand bei der Einführung und Anwendung von KI erleichtert wird, um Mitbestimmung ausüben zu können.

Was sind die aktuellen Herausforderungen für die Gewerkschaft?

Florian Haggenmiller: Ich gehe ab und an auf Sitzungen von verschiedensten Konzernbetriebsräten, die Mitbestimmungsvorgänge zu KI-Tools vorliegen haben. Manchmal stehen auf der Tagesordnung so viele Vorgänge zur IT-Mitbestimmung, dass es ein bis zwei Leitz-Ordner füllen würde, wenn ich das ausdruckte. Mitbestimmung sollte zügig vonstatten gehen, aber eben auch sorgfältig und gut, immer im Sinne der Beschäftigten. Was nicht passieren darf: Das Unternehmen braucht dringend eine Anwendung, um Kunden zufriedenzustellen, und dann hat der Betriebsrat keine Zeit mehr, um gut prüfen zu können, welche mitbestimmungsrelevanten Vereinbarungen bei der Einführung und beim Betrieb der Anwendung notwendig sind. Deswegen geht es aktuell vor allem darum, einen Rahmen mit den Arbeitgebern zu verabreden, Kriterien festzulegen, was wie in die Mitbestimmung geht. Etwa ein Checklisten-Verfahren, in dem abgefragt wird: Was ist das für eine Anwendung? Wie viele Beschäftigte arbeiten damit? Was für Veränderungen gibt es dadurch? Wo gibt es Qualifikationsbedarf? Mit so einem Kriterienkatalog können die inzwischen sehr professionellen IT-Arbeitskreise der Betriebsräte gut arbeiten und zügig KI-Anwendungen genehmigen. Bei der Deutschen Telekom haben wir zum Beispiel gerade so eine Rahmenvereinbarung zur IT-Mitbestimmung festgelegt. Auch bei IBM gibt es eine gute Vereinbarung zum Umgang mit KI.

Wann laufen KI-Einführungen nicht so gut?

Florian Haggenmiller: Wenn Mitarbeiter:innen die Vorschläge der KI nicht mehr nachvollziehen können. Zum Beispiel im Kundenservice, wo KI bei der Vorbereitung des Kundengesprächs eingesetzt wird, indem sie Daten vernünftig aufbereitet und Vorschläge macht, was man anbieten kann. Wenn diese KI-Vorschläge für Mitarbeitende nicht nachvollziehbar sind und nicht verstanden werden, fühlen sie sich nicht mehr als Herren des ganzen Verfahrens. Das führt nicht unbedingt zu einer hohen Akzeptanz.

Wie ist denn die Stimmung bei den Betriebsräten in Bezug auf Rationalisierung durch KI?

Florian Haggenmiller: Wo man bisher keine oder wenig Erfahrung mit Digitalisierung gemacht hat, sieht man ihr mit Sorge entgegen. Und sie führt ja auch zu deutlichen Reduzierungen von Beschäftigung. Zum Beispiel die Digitalisierung des Telefonnetzes, dabei fällt Beschäftigung weg, wenn man nicht mehr jede einzelne Leitung schalten muss, sondern das per Mausklick bedienen kann. Negative Beschäftigungseffekte sind da, das sollten wir bitte nicht schönreden. Aber wir versuchen Lösungen mit den Arbeitgebern zu finden, um solche Beschäftigungseffekte abzufedern. Als Gewerkschaft wollen wir die Digitalisierung nicht aufhalten. Wenn zum Beispiel auf der technischen Seite Arbeitsplätze wegfallen, kann man in einem besseren und qualifizierten Kundenservice neue schaffen. Wir haben mit einigen Unternehmen Verabredungen getroffen, dass erstmal interne Beschäftigung umgeschichtet wird, bevor sie abgebaut wird und vor allem bevor man etwa auf Externe zugreift. Es geht um Neuqualifizierung, Umqualifizierung, eben um Umschichtung in einem Konzernverbund. Ein gutes Beispiel hatten wir während des Lockdowns bei den Telekom-Shops. Da haben die Mitarbeiter, die im Lockdown nicht in den Shops arbeiten konnten, im Kundenservice der Serviceline mitgeholfen. Solche Möglichkeiten finden sich viele, wenn man danach sucht. Wir müssen immer überlegen: Wie können wir einen Ausgleich zu negativen Beschäftigungseffekten schaffen? ver.di sieht die digitale Transformation als Gestaltungschance. Wir glauben nicht, dass Blockieren hilft. Schließlich wäre das auch nicht im Sinne der Beschäftigten.

Ein Interview von Eva Meschede

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