17.05.2022

Interview mit …

Kristian Schalter

Kristian Schalter leitet die Abteilung „Strategie und Zukunft der Arbeit“ bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Er setzt sich für Technologie-Offenheit ein und wünscht sich, dass die Digitalisierung in der Arbeitswelt vorankommt.

 

Lothar Schröder

Welche Potentiale sehen Sie beim Einsatz von KI in der Arbeitswelt?

Kristian Schalter: KI gehört zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts und wird die Arbeitswelt von morgen fundamental verändern. KI bietet enorme Chancen sowohl für Unternehmen als auch für Beschäftigte. In Zukunft können Unternehmen KI in nahezu allen Geschäftsbereichen anwenden, für die ausreichende Mengen an qualitativen Daten verfügbar sind. Für Beschäftigte wächst durch die steigende Verbreitung von KI die Bedeutung des kollaborativen Arbeitens mit Computern und Maschinen. Dabei werden intelligente Assistenzsysteme vor allem Routinetätigkeiten und regelbasierte Aufgaben übernehmen. Das bietet Beschäftigten mehr Raum für kreative, soziale und dienstleistende Tätigkeiten. Chatbots entlasten bereits heute die Beschäftigten im Kundenservice und können 24 Stunden am Tag Routineanfragen selbstständig bearbeiten. In der Industrie können hingegen autonome KI-Exoskelette Beschäftigte an Arbeitsplätzen bei schweren körperlichen Arbeiten unterstützen.

Um diese Chancen für Betriebe wie Beschäftigte zu nutzen, gilt es, Arbeit so zu gestalten, dass eine effiziente Kollaboration von Beschäftigten und Maschinen ermöglicht wird. Gleichzeitig spielt der Arbeitsschutz eine wichtige Rolle. Das Zauberwort ist hier: Gefährdungsbeurteilung. Sie bleibt für die Unternehmen und Betriebe auch beim Thema KI das Schlüssel-Instrument im Arbeitsschutz. Unternehmen sind dazu durch die Arbeitsschutzvorschriften rechtlich verpflichtet. Diese Arbeitsschutzvorschriften – in erster Linie das Arbeitsschutzgesetz – räumen den Unternehmen hierbei richtigerweise große Spielräume ein, eigene, für ihren Betrieb passfähige Lösungen zu entwickeln. Diese Freiheit ist richtig und wichtig für die Innovationsbereitschaft. Wir sollten daher bei KI auf eine gewisse „Hands-on“-Mentalität und Experimentierfreudigkeit auch im Arbeitsschutz setzen. Hier wird es auch darauf ankommen, wie gut die Arbeitgeber beim Thema KI und Arbeitsschutz durch die staatlichen Arbeitsschutzbehörden und Unfallversicherungsträger beraten werden. Diesen Beratungsauftrag haben nämlich beide. Darüber hinaus sind wichtig: ein offenes Mind-Set, die Bereitschaft zum Lebenslangen Lernen und eine hohe Arbeitsgestaltungskompetenz bei den Beschäftigten.

Kann KI helfen, den Fachkräftemangel zu beheben?

Kristian Schalter: Ja und nein. Digitalisierung und Automatisierung können Bausteine im Kampf gegen den Fachkräftemangel sein. Früher wurden Digitalisierung und Automatisierung als Gefahr für den Arbeitsmarkt gesehen, heute sind sie Teil der Lösung. Viele Tätigkeiten, für die wir keine Arbeitskräfte finden, können mittelfristig durch digitale Assistenzsysteme, Robotik oder Automatisierung aufgefangen werden. Hochautomatisierte Lager- und Logistiksysteme, autonom fahrende Gütertransporte oder Kassierer-freie Check-out-Kassen sind nur Beispiele. Nicht alle Berufe können jedoch automatisiert oder digitalisiert werden. So ist schwer vorstellbar, dass eine Pflegekraft vollständig durch einen Pflegeroboter ersetzt wird, da die menschliche Komponente in diesem Bereich außerordentlich wichtig ist. Hier kann nur in Teilen unterstützt werden.

Robotik und Digitalisierung können also bei der Bewältigung des demografischen Wandels helfen, gleichzeitig entsteht durch sie jedoch ein neuer Bedarf an Fachkräften. Die Entwicklung und Anwendung von KI erfordern neue Kompetenzen und Qualifikationen. Diese sind aber jetzt schon knapp. Bereits heute fehlen fast 50.000 IT-Fachkräfte. Somit wird Weiterbildung und lebenslangem Lernen eine wichtige Rolle zukommen, um die Fachkräftebedarfe von morgen zu decken. Hierbei ist auch die stärkere Vermittlung von Digitalkompetenzen in Schulen, im Studium und in der Ausbildung ausschlaggebend.

Wie können wir in Deutschland und Europa mehr Tempo bei der Entwicklung und Anwendung von KI erreichen?

Krisitan Schalter: In der Tat setzen noch nicht viele Unternehmen in Deutschland und Europa KI in der Breite ein. Besonders KMUs sind beim Einsatz von KI noch sehr zögerlich. Ein Hemmschuh liegt vor allem darin, dass sich viele nicht darüber im Klaren sind, welchen konkreten Nutzen KI in ihrem Unternehmen bringen kann. Hier ist es vor allem wichtig, besser zu informieren und zu beraten. KI muss entmystifiziert werden. Es ist z.B. oft nicht bekannt, dass eine KI nicht unbedingt selbstentwickelt werden muss, sondern mittlerweile gute Standardlösungen eingekauft werden können. Außerdem sind mittlerweile No- und Low-Code-Plattformen verfügbar, mit denen KI-Anwendungen entwickelt werden können, ohne selbst Codes schreiben zu müssen. Auch dies wäre ein guter Einstieg. Beschäftigte können leichter und schneller für den Einsatz von Low-Code-Angeboten weitergebildet werden, als sie zu „richtigen“ KI-Experten zu qualifizieren.

Die Entwicklung und das Trainieren von KI setzt große Datenmengen voraus. Auch personenbezogene Daten können dafür nötig sein. Diese sind in Deutschland und Europa sehr stark geschützt. Um KI stärker voranzutreiben, muss der Datenschutz zukunftsfähig gestaltet werden. Es gilt die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigen zu wahren, ohne dabei durch unnötige Regulierung die sinnvolle und innovative Datenerhebung und -nutzung zu erschweren. So sollte zum Beispiel der AI Act, der gerade auf europäischer Ebene verhandelt wird, nicht zu einer Überregulierung von KI führen und Innovationen bereits im Keim ersticken.

Ein Interview von Eva Meschede

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