Zum ersten Human Friendly Automation Day
Warum wir eine Werte-Charta zur menschenfreundlichen Automatisierung brauchen
Am 21. September wurde auf dem ersten Human Friendly Automation (HFA) Day die HFA Werte-Charta der Öffentlichkeit vorgestellt und diskutiert. Mehr als 100 Teilnehmende verfolgten virtuell und real im IBM Watson Center Munich die Premiere der Charta. Eine ethische Leitlinie, die den Mensch bei Automatisierungsprozessen in den Mittelpunkt stellt.
Von Eva Meschede
Schon 2019 bestand bereits für 75 % der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland das Risiko, dass ihre Arbeit ganz, oder zumindest in einem erheblichen Ausmaß, von intelligenten Maschinen übernommen werden könnte. Noch hat der Automatisierungsprozess in Deutschland nicht richtig Fahrt aufgenommen, doch Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit gehen davon aus, dass 2025 die intelligente Automatisierung großflächig zur Anwendung kommen wird. Das könnte gravierende Folgen für die Volkswirtschaft und Millionen von Beschäftigten und ihren Familien haben. „Deshalb besteht jetzt Handlungsbedarf für die Ausgestaltung einer Human Friendly Automation (HFA) sowohl in den Unternehmen als auch zwischen diesen“, sagt Lars Schatilow, Initiator des HFA-Netzwerkes, eines branchenübergreifenden Zusammenschlusses aus Experten für KI, Automation, Change und HR. IBM ist „Founding Sponsor“, das ISF München begleitet die Initiative wissenschaftlich. Das Ziel: eine weltweit gültige Werte- und Prinzipien-Charta. Eine Charta, die sozusagen Grundrechte der Menschen im Prozess der Automatisierung sicherstellt.
Human Friendly Automation – Werte Charta
Grundlage für eine faire, nachhaltige und globale digitale Wirtschaft
Wir haben fünf Personen, die an diesem Ethikleitfaden mitgearbeitet haben, gefragt: Warum ist das so wichtig?
Martin Födisch ist Referent für Digitales Change Management bei der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die BA wird durch die Automatisierung von Routineaufgaben in die Lage versetzt, mehr Zeit in die persönliche Beratung von Kundinnen und Kunden zu investieren und auf Veränderungen flexibel zu reagieren.
„Mit der HFA-Werte-Charta existiert eine Leitlinie, die uns zusätzliche Orientierung bei der Umsetzung von Automatisierungsprojekten bieten kann. Das wesentliche Wertepaar für mich ist ‚Offenheit & Transparenz‘. Aus meiner Sicht ist es wichtig, Ziele und Beweggründe für Automatisierung klar und frühzeitig zu kommunizieren, mit den Betroffenen zu diskutieren und ihnen so eine Chance zu geben, sich aktiv einzubringen. Zudem signalisiert die Charta: Es geht nicht um Rationalisierungen, sondern um Verbesserungen. Als moderne Arbeitgeberin möchten wir auch Arbeitsplätze attraktiver machen.“
Dirk Eichler ist Senior Consultant und Change-Management-Experte bei der Audi AG. Er will sich dafür einsetzen, dass die Ideen und Bedarfe der Beschäftigten bei der Einführung von KI berücksichtigt werden und deren Auswirkungen auf die Arbeitsqualität der Mitarbeiter:innen ehrlich überprüft werden.
„Die Folgen der Künstlichen Intelligenz werden gesellschaftlich und organisational gravierend unterschätzt. Ohne eine aktive Auseinandersetzung mit der sozialen Dimension unter Beteiligung der betroffenen Menschen kann das Potenzial der Künstlichen Intelligenz nur schwer gehoben werden. Die Nachteile würden dann überwiegen, mit entsprechenden gesellschaftlichen Folgen. Eine Werte-Charta ist kein Wundermittel, kann aber helfen, bei der Einführung von Künstlicher Intelligenz zu sensibilisieren. Dazu sind lebhafte Diskussionen über die Entscheidungsprämissen und die konkreten Maßnahmen erforderlich. Das wird Organisationen einiges abverlangen.“
Tanja Hencker ist Senior-Expertin für Digitale Transformation im Vorstandsbereich Technology & Innovation bei der Telekom. Das Unternehmen, das KI und Automatisierung an vielen Stellen eingeführt hat, hat bereits eigene Ethik-Leitlinien für die Nutzung von KI formuliert.
„Ich bin eine Verfechterin der Chancen der Digitalisierung. Denn sie bietet große Chancen. Viele Tätigkeiten sind ja heutzutage fast menschenunwürdig; etwa acht Stunden am Rechner zu sitzen ist nicht gesund. Die wichtige Frage ist: Was werden wir Menschen tun, wenn KI und Automatisierung uns viele undankbare Aufgaben abgenommen haben? Vielleicht arbeiten wir weniger? Wir brauchen eine gemeinsame Vision, was ‚Working in the digital age‘ wirklich bedeutet. Echte Dialoge helfen und die Charta ist ein Mittel, eine Basis, solche Dialoge einzufordern. Ein reiner Fokus auf Machbarkeit, Technology und Zahlen wäre fatal. Wir brauchen mehr emotionale Intelligenz bei den Entscheider:innen und dazu wird eine Werte-Charta beitragen.“
Lars Schatilow ist Digital Change Manager bei IBM und hat die Initiative Human Friendly Automation mit seinem Team bei IBM erfunden. Zudem hat er das branchenübergreifende große Netzwerk aus Fachleuten für HR, KI, Automation und Change zur Erstellung der HFA-Werte-Charta zusammengebracht.
„Bei der Einführung von ‚Intelligent Automation‘ geht es nicht nur darum, Technologie zu adaptieren, sondern oftmals um persönliche berufliche Neuerfindung. Dieser Paradigmenwechsel muss zum Wohl der Menschen gestaltet werden. Die Werte-Charta für Human Friendly Automation soll eine Wirkung ähnlich wie ein Gebote-Katalog entfalten. Sie soll die Kultur verändern, macht aber keine direkten Handlungsvorgaben. Aufgrund der Berücksichtigung dieser Werte bei jedem intelligenten Automationsprojekt erhöht sich deutlich die Chance, dass die Zukunft der betroffenen Beschäftigten stets mitgedacht wird. Ja, wenn die Charta – ähnlich wie das „Agile Manifest“ für das agile Arbeiten – im Alltag verankert ist, brauchen sich Arbeitende keine Sorgen machen. Die Veränderung wird menschenfreundlich gestaltet. Davon bin ich überzeugt.“
Barbara Langes ist Wissenschaftlerin am ISF München. Seit fast einem Jahr forscht sie zu dem Thema, wie KI und Automatisierung menschenfreundlich eingesetzt werden können. Für das Projekt „KI und der Wandel von Arbeit (humAIn work lab)“ hat sie schon jetzt mehr als 50 Interviews mit Expertinnen und Experten aus Unternehmen unterschiedlicher Branchen geführt.
„Unsere Forschungsergebnisse zu KI und dem Wandel von Arbeit zeigen, dass sich Unternehmen bei der Nutzung von KI häufig auf die technische Lösung konzentrieren. Die damit verbundenen Veränderungsprozesse in der Arbeitswelt und die Folgen für Beschäftigte werden nicht weiter berücksichtigt. Mit der HFA-Charta haben wir, eine Gruppe von Enthusiast:innen aus unterschiedlichsten Bereichen, die von der positiven Gestaltbarkeit des Wandels überzeugt sind, im engen Austausch einen Orientierungsrahmen und Leitplanken geschaffen, um die Arbeitswelt der Zukunft gemeinsam mit den Menschen wertorientiert zu gestalten. Im nächsten Schritt kommt es darauf an, die Charta mit Leben zu füllen. Wir müssen Leuchtturm-Projekte sichtbar machen, Mitstreiter:innen finden und gemeinsam lernen.“