10.05.2022

3 Fragen an…

Sascha Stowasser

Seit vielen Jahren leitet Professor Stowasser das ifaa (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft) und forscht intensiv zum Thema Arbeit der Zukunft. Mit dem Vier-Phasen-Modell hat er einen praxisorientierten Leitfaden für die Einführung von KI entwickelt. Wir sprachen mit ihm über Führungskräfte und wie sein Modell im Change-Prozess Orientierung bietet.

Welche Rolle spielen Führungskräfte bei der Einführung von KI?

Führungskräfte sind im Change-Prozess Mitentscheider, Vorbild und Kulturschaffende. Zuerst entscheiden sie, ob KI überhaupt im Unternehmen eingeführt werden soll. Dann sollten sie Vorbild bei der Einführung sein, das heißt mit Elan vorangehen, Motivation und keine Abwehrhaltung gegen die neue Technologie zeigen, insgesamt positiv sein. Und zum Dritten sind sie natürlich auch verantwortlich dafür, dass im Unternehmen die passende Kultur für die KI-Einführung vorhanden ist, dass das Contra nicht vorherrscht, sondern dass es eine positive Einstellung zu innovativen Technologien im Unternehmen gibt. Am besten eine, die offene Diskussion über KI zulässt. Nicht immer ist KI notwendig, manchmal ist man zu euphorisch und es passt gar nicht zum Sachzweck und Ziel.

Kann man davon ausgehen, dass Führungskräfte grundsätzlich positiv zu KI eingestellt sind?

Erfahrungsgemäß stehen sie dem Change-Prozess nicht immer und ausschließlich positiv gegenüber. Sie sind ja auch Betroffene. Im Prinzip geht es Vorgesetzten nicht anders als anderen Mitarbeitenden. Führungskräfte haben auch Bedenken bei der Einführung von KI. Wenn etwas Neues kommt, was erst mal ganz undurchschaubar anmutet, können schon Vorbehalte auftreten: Kann ich damit umgehen? Verstehe ich, was KI macht oder ist es eine Blackbox? Was passiert mit meinem Job? Verliere ich womöglich meinen Beruf? Auch Vorgesetzte können durch KI-Prozesse Arbeit verlieren. Zum Beispiel ein Meister oder eine Meisterin im Fertigungsbereich, der/die bislang sehr viel Energie in die Planung von Schichtarbeit, Arbeits- und Urlaubseinteilung gesteckt hat, und dann moderne Schichtplanungs- und Personaleinsatzplanung mit KI-Unterstützung bekommt, fragt sich, wie die Zukunft aussehen wird. Natürlich gibt es noch andere Dinge zu tun, aber die Arbeit wird durch KI weniger. Zudem stellen sich die üblichen Fragen: Was passiert mit meinen Daten? Werde ich vielleicht überwacht? Werden mein Team oder ich persönlich in unserer Leistung beurteilt? Also die Befürchtungen, die wir normalerweise bei Beschäftigten analysieren, stellen wir genauso bei Vorgesetzten fest.

Wie würde denn ein vernünftiger Change-Prozess laufen?

Für die Einführung von KI empfehle ich Führungskräften, unser Vier-Phasen-Modell als Leitfaden. Es baut auf eine Kultur, die Diskussion zulässt, Pro und Kontra abwägt. Die sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit ist in allen vier Phasen das Fundament auf dem KI sinnvoll eingeführt werden kann.

In der ersten Phase sollten die Zielsetzungen diskutiert werden und die Folgen abgeschätzt werden. KI sollte nicht eingeführt werden, nur weil es zurzeit modern ist, oder weil die Medien darüber berichten. Das Ziel im Unternehmen muss gefunden werden, ein Anwendungsfall, ein Problem, ein Bereich, in dem KI tatsächlich unterstützen kann und etwas verbessert. Etwa in der Schichtplanung, weil es für KI einfacher ist, viele alte Pläne auszuwerten. Oder in der Oberflächen-Qualitätsüberwachung, weil die Bildverarbeitung extrem gut geworden ist und die Fehler etwa in einem Stoff von der Maschine schneller gefunden werden können als von einem Menschen. Die Anwendung, das Ziel, der Sinn sollten schon in Phase eins mit Beschäftigten, die in diesem Bereich arbeiten, Management, Betriebsrat und den Expert:innen, die diesen Anwendungsbereich planen, beispielsweise aus dem Industrial Engineering, diskutiert werden. Es muss eine Analyse geben, welche Potenziale hat das KI-System. Wenn ich beispielsweise eine Oberflächenbewertung durch ein KI-System einsetzen will, muss offen diskutiert werden: Welche Folgen wird das haben? Und zwar nicht nur das positive Potenzial. Deshalb ist es wichtig, dass die Beschäftigten und ihre Interessensvertreter:innen schon früh mit dabei sind. Es steigert die Akzeptanz bei der Einführung, wenn von vorneherein alle Folgen klar sind.

In der zweiten Phase geht es um Planung und Gestaltung. Wie kann KI implementiert werden? Es sollte hier auch eine gewisse User-Experience geschaffen werden. Bei KI ist es wichtig, den Menschen die Sicherheit zu geben, dass sie mit der neuen Technologie umgehen können. Die Mensch-Maschine-Interaktion muss gut gestaltet werden, die verständliche Angst vor der Blackbox genommen werden. Transparenz, Erklärbarkeit, Vertrauenswürdigkeit sind wichtig. In dieser Phase sollten Führungskräfte darauf achten, dass sich nicht alles um Technik dreht, sondern auch erste Beschäftigungsanalysen gemacht werden: Welche Auswirkung hat die Arbeit mit KI auf den Menschen? Das wird oft vernachlässigt. Nach dieser zweiten Phase haben wir ein lauffähiges KI-System und idealer Weise auch geplant, wie Leute damit arbeiten.

In der dritten Phase geht es um die die Implementierung. Hier appelliere ich immer wieder: Denkt früh auch an die Organisation der neuen Aufgaben. Es werden teilweise ganz neue Aufgabenprofile geschaffen. Jemand, der die Qualität prüft, und nicht mehr den ganzen Tag Oberflächen checkt, sondern plötzlich im Hintergrund am Rechner sitzen soll, muss vorher dafür geschult werden. Wenn Leute in der Bekleidungsindustrie acht Stunden vor einem Stoffballen, der abgewickelt wird, stehen, um einen kleinen Fehler zu finden, plötzlich mit KI oder Bildverarbeitung umgehen sollen, ist das ein neuer Beruf. Es ist hilfreich, Experimentierphasen oder Pilotprojekte zu initiieren, in denen das Unternehmen Erfahrungen sammelt und die Mitarbeiter:innen zu den neuen Aufgaben hingeführt werden. Dann entsteht positive Resonanz, die ausstrahlt. Und sollte im Pilotprojekt herauskommen, das bringt alles nichts, muss man auch den Mut haben zu sagen, in diesem Fall verwerfen wir die KI-Pläne. Viele gerade der Internet-getriebenen Großkonzerne aus den USA − Stichwort Google oder Apple − leben von solchen Experimentierphasen und Projekten. Und die wenigsten Projekte werden ausgebreitet.

Macht das Projekt Sinn, kommt die flächendeckende Einführung von KI in Endphase vier, es geht vor allem um die Evaluation, also Anpassung und Weiterführung. Ein KI-System muss kontinuierlich überprüft und bewertet werden, nur dann läuft es gut. Und die Erfahrungswerte aus diesem Projekt können für weitere Innovation genutzt werden.

 

Ein Interview von Eva Meschede

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